Veno Pilon
Maler, Grafiker und Fotograf, einer der bedeutendsten slowenischen Künstler
„In den Unterlagen konnte ich lesen, dass ich in Ajdovščina geboren wurde, in Haidenschaft, in Aidussina, das auf den Fundamenten der alten römischen Festung Castra Mutatio erbaut wurde. Dort, wo der Burja den römischen Soldaten die Speere umdrehte, wie eine Legende besagt; an der Grenze zwischen Ost und West, an der Grenze der Küstenregion und dem Land Krain, am Scheidepunkt zweier Jahrhunderte, als sich der menschliche Verstand motorisierte. Gelehrte Astrologen sagten mir, dass die Nacht zum 22. September, in der ich das Licht der Welt erblickte, im Zeichen der Venus (der Jungfrau) stand, die der Waage wich. So begann mein Leben unter dem Berg Čaven, als über ihm und über dem Berg Nanos noch der zweiköpfige Adler kreiste. Vater und Mutter konnten sich nicht allzu gut verständigen, weil Menigo aus Friaul stammte, Urška hingegen war in Vipava zuhause und jeder der beiden sprach seine Sprache, er Friaulisch, sie Slowenisch.“
Mit diesen Worten beginnt Veno Pilon seine malerische Erzählung über die Anfänge seines Lebens in seiner Autobiographie Na robu (dt.: Am Rand). Geboren im Jahr 1896 erlebte er seinen ersten künstlerischen Höhepunkt nirgendwo anders als in der Stadt Ajdovščina, im gelben Familienhaus in der Straße Prešernova ulica (ehemals Cesarska ulica) , in dem sich auch die Bäckerei seines Vaters, eines Manns und Bäckermeisters namens Menigo aus Friaul (Domenico aus Mossa), und seiner Mutter Urška Trošt aus Podraga bei Vipava befand. Auf dem Hof wuchs er zusammen mit seinem Bruder Jožef und den Schwestern Marija (verheiratete Marc), Alojzija (Bras), Milka (Lenščak) und Justa (Ravbar) auf. Tatsächlich wurde er an einem anderen Ort geboren, als er selbst behauptet, nämlich irgendwo in der Gasse unter dem gewölbten Durchgang, im Haus des Weinhändlers Bolaffi, wo er am Ende dieser dunklen Gasse, man sagt unter einem Feigenbau, beim Übergang vom Sommer zum Herbst, das Licht der Welt erblickte.
Veno Pilon gilt als einer der bedeutendsten slowenischen Expressionisten, als ausgezeichneter Fotograf, Grafiker und Zeichner, dessen Opus im Laufe von über 60 Jahre entstand.
Nach dem Abschluss an der Realschule in Gorica im Jahr 1915 wurde er in die Armee einberufen. In Galizien (der heutigen Ukraine) kam er in Gefangenschaft und wurde nach Russland verschleppt, wo er die Oktoberrevolution miterlebte. Während seiner Gefangenschaft entstanden einzigartige, zarte und aussagekräftige Aquarelle.
Nach 1918 kehrte er in die Heimat zurück und studierte in den folgenden Jahren Kunst an der Akademie in Prag, später auch in Florenz und Wien. Als er im Jahr 1921 wieder nach Ajdovščina kam, übernahm er aufgrund des schlechten Gesundheitszustands seines Vaters die Leitung der Bäckerei im Stadtzentrum, wo er sich auch ein Atelier einrichtete. Seine Arbeiten, die in dieser Zeit entstanden sind, gelten als Höhepunkt seines malerischen Werkes, mit dem er sich nicht nur unter den slowenischen, sondern sogar unter den europäischen Künstlern einen Namen machte. Er malte mit Ölfarben; zuvor oder auch danach wiederholte er diese Motive auch in Grafiken und Zeichnungen. So entstanden seine heute bekanntesten und wertvollsten Arbeiten: Moj oče / Mein Vater, Kruh (1922)/ Brot, Furlanska delavka (1923) / Die Arbeiterin aus Friaul, Varja (Rusinja) / Varja (Russin), 1925 oder aber Ajdovščina (1925) und Stara elektrarna na Hublju (1923) / Altes Kraftwerk am Hubelj. Die Landschaft seiner Heimat (das obere Vipava-Tal), ihr heute leider zerfallenes technisches Erbe (Wasserkraftwerk, Säge, Mühle, Spinnerei) und die Menschen stellte er in ihrer harten und unverblümten Rohheit dar. Er malte Motive und Personen, die er kannte und die ihm nahe standen: den Flusslauf des Hubelj, die Hochebene Gora, die Stadt Ajdovščina mit ihrer malerischen Umgebung und der städtischen Steinakropolis Škol sowie Vipavski Križ; seine Motive suchte er auch im bekannten Amphitheater bei den Quellen des Flusses Vipava in Vipava. Unter seinen Portraits finden sich bekannte Persönlichkeiten des oberen und mittleren Bürgertums in Ajdovščina, aber auch einfache Leute. Er war mit Dr. Danilo Lokar befreundet, einem Arzt und späteren Literaten. In seinen Jugendjahren hinterließ die Bewunderung für den Maler und vor allem ersten slowenischen Puppenspieler und Fotographen Milan Klemenčič und auch eine tiefe freundschaftliche Verbindung mit diesem Mann tiefe Spuren und wurde zu einer Inspiration für Pilons gesamtes kreatives Schaffen.
Zwischendurch nahm er aktiv an zahlreichen Gemeinschaftsausstellungen teil und trat im Jahr 1924 mit seinen Grafiken als erster Slowene auf der Biennale in Venedig auf. Vor den Betrachter stellte er immer wieder einen Spiegel von dessen und gleichzeitig auch seiner eigenen Seele, was er auch in der späteren Zeit meist beibehielt, selbst als er im Jahr 1928 für 40 Jahre nach Paris zog, die Hauptstadt der Kunst und Ort seiner immerwährenden Sehnsucht. Er wechselte nur das Medium ‒ die Malerei wich der Fotografie ‒ und in Paris entstanden zwischen den beiden Weltkriegen, etwa zehn Jahre nach seinen besten Arbeiten aus Ajdovščina, seine faszinierendsten Fotografien. Einige davon datieren aus den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts. In Paris ließ er sich nieder und heiratete die Französin Anne-Marie Guichard. In der Ehe wurde der Sohn Dominique geboren, der später bei der Einrichtung der heutigen Pilon-Galerie in Ajdovščina eine entscheidende Rolle spielte.
In seinen späteren Jahren lebte Veno Pilon in Paris, wo er sich viel mit der Übersetzung slowenischer Literatur in die französische Sprache beschäftigte. Er beherrschte einige Sprachen, was seine weltbürgerliche Seele wiederspiegelt, denn er bereiste während seines Studiums halb Europa. Nach dem Krieg nahm Pilon in seinem Haus in Montparnasse slowenische Landsmänner, Intellektuelle und Künstler auf, die aus verschiedenen Gründen nach Paris kamen, und er galt als inoffizieller Kulturattaché. Zeitweilig arbeitete er als Ausstellungsorganisator, Redakteur und Illustrator. Als Szenograf und Schauspieler trug er wesentlich zum Dreh des ersten slowenischen abendfüllenden Spielfilms Na svoji zemlji / Auf eigenem Land bei. Er dichtete auch Poesie (Orakelj slikarjev / Orakel der Maler, 1968). Kurz nach dem Tod seiner Frau kehrte er im Jahr 1968 nach Ajdovščina zurück, wo er einen Tag nach seinem 74. Geburtstag verstarb, das heißt am 23. September 1970.
Nur ein halbes Jahr später, am 9. April 1971, ermöglichte sein Sohn Dominique mit einem Brief an die Gemeinde Ajdovščina die Grundsteinlegung und den Beginn der Einrichtung der Sammlung und der späteren Pilon-Galerie, die heute den Hauptteil von Pilons Werken aufbewahrt.
Text: Tina Ponebšek, Direktorin der Pilon-Galerie
www.venopilon.com